Der Literaturwissenschaftler Michael Serrer und Lyriker Yang Lian.

„I question, therefore I am“

Auf eindrucksvolle Art und Weise bekamen Schülerinnen und Schüler der 12. Klassen am Hausacher Wirtschaftsgymnasiums am Montagvormittag im Rahmen der Schullesungen des diesjährigen Hausacher Leselenzes eine Einführung in das, was der deutsche Philosoph Walter Benjamin bereits vor im Jahre 1923 als die „Aufgabe des Übersetzers“ definiert hatte. Benjamin beschrieb die Idee einer dritten Sprache, die zwischen der Originalsprache und der Zielsprache steht. Diese dritte Sprache ist keine spezifische Sprache im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr eine ideale, reine Form der Sprache, die durch den Übersetzungsprozess sichtbar gemacht wird.

Zu Gast in der Aula der Kaufmännischen Schulen waren der chinesische Dichter Yang Lian und als Übersetzer der Literaturwissenschaftler Michael Serrer. Lian stellte sich den Schülern auf Englisch vor (die Sprache hatte er sich selbst beigebracht, erzählte er beiläufig, eigentlich sei das ja kein richtiges Englisch sondern lediglich „Yanglisch“). Als Diplomatensohn war er ein Opfer der Kulturrevolution der siebziger Jahre, durfte nur zwei Jahre die Schule besuchen und begann in dieser Zeit seine literarische Karriere.

In seinen Gedichten aus dem chinesischen Exil heraus verarbeitete und verarbeitet er bis heute Ereignisse wie das Massaker vom Tiananmen-Platz 1989. Yang Lian las insgesamt vier Gedichte auf Chinesisch vor und gab seinem Publikum den Auftrag, der Wortmelodie und damit der musikalischen Schicht als zweite von drei Schichten eines Gedichts zu lauschen. Die erste visuelle Schicht seiner „obskuren Lyrik“ erschließe sich in ihren Schriftzeichen selbst für Chinesen nicht immer sofort, die dritte Bedeutungsschicht versuchte abschließend Michael Serrer im Vorlesen der deutschen Übersetzung zu transportieren, so im „Hafen des Sommers“ (bezogen auf ein Literaturfest in Rotterdam, an dem Yang Lian 1989 als Exil-Dichter teilnehmen durfte) oder seinen Beobachtungen zu einem von einem Orkan zerstörten Wald, „Der Himmel fällt die Wälder“, dessen „musikalische“ Schicht Yang Lian heute anders gestalte als noch vor 30 Jahren, als er lediglich das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens als Gewaltexzess visualieren wollte. Inzwischen seien mit dem 9. September 2001 und jetzt dem Ukraine-Krieg weitere Gewaltbilder dazugekommen.

Das Zusammenspiel der beiden ließ das junge Publikum nicht unbeeindruckt, erst recht als Yang Lian auf Englisch den Dichter Rene Descartes („ich denke, also bin ich“) vor dem Eindruck der vielen Krisen der Moderne umdeutete zu „I question, therefore I am“ und die angehenden Abiturienten aufforderte, ihr Leben kritisch hinterfragend zu gestalten.