Georg Büchner meets Tom Waits
Kurhaus und Casino Baden-Baden kennt man, direkt daneben steht das Theater. In dessen roten Sesseln, inmitten von Gold und Rokokoschnörkeln, machten es sich Schülerinnen und Schüler der 12. und 13. Klassen mit ihren Fachlehrerinnen Ria Matzke und Jutta Person an einem Sonntagabend bequem. Georg Büchners „Woyzeck“ stand auf dem Programm.
Genauer war es eine musikalische Adaption des Dramenfragments, das der 1837 mit 23 Jahren verstorbene Büchner hinterlassen hatte. Der amerikanische Songwriter Tom Waits und dessen Frau Kathleen Brennan schrieben die Songs für das Art Musical, das 2000 von Regisseur Robert Wilson in Kopenhagen uraufgeführt wurde. In Baden-Baden wurde es von der Opernregisseurin Sandra Leupold inszeniert.
Statt der erwarteten Kulissen war im Hintergrund der Bühne eine Band postiert. Mitten im Spiel, aus dem aufs Äußerste verdichtete Deutsch Büchners heraus, griffen die Figuren zum Mikrofon und sangen sich ihre Gefühle vom Leib – auf Englisch. Das hatte einen stark verfremdenden Effekt, doch gleichzeitig transportierten die Lieder den emotionalen Kern dessen, was die Charaktere erleben, die Gefühle von Hilflosigkeit, Eifersucht, Begehren, Verzweiflung und vor allem auch von Einsamkeit.
Um das gemeinsame Kind und seine geliebte Marie durchzubringen, die er seiner Armut wegen nicht heiraten kann, reibt sich der Soldat Woyzeck mit Nebenjobs auf. Er wird von seinem Hauptmann als Diener missbraucht und gedemütigt, vom Arzt in medizinischen Experimenten körperlich und psychisch zugrunde gerichtet und schließlich von einem vor Gesundheit und Potenz strotzenden Tambourmajor in der Gunst Maries ausgestochen. Das brutale System von Unterdrückung und Unfreiheit treibt Woyzeck, der nun auch noch von Eifersucht gequält wird, in den Wahnsinn. Er tötet, was er am meisten liebt in der Welt: Marie.
Die Schülerinnen und Schüler der 13. Klasse waren beeindruckt, wie die Inszenierung die enormen Kräfte, die auf den Protagonisten von innen und außen einwirken, herausarbeitete und eine Atmosphäre der Trostlosigkeit erzeugte. Diese wird besonders deutlich, wenn am Ende das einsam zurückbleibende Kind Woyzecks und Maries die groteske Version des Märchens vom Sterntaler vorliest, bevor es sich zu Tom Waits‘ Song, an einer unsichtbaren Ruderband wie ein Galeerensklave abmüht, wie am Anfang des Musicals sein Vater.
Für viele Schülerinnen und Schüler der WG12 war dies der erste Theaterbesuch und eine ganz neue Erfahrung, Literatur wirklich zu erleben. Besonders die Leistung der Schauspielerinnen und Schauspieler wurde im Nachgespräch positiv hervorgehoben. Das spartanische Bühnenbild mit den zwei eisernen Toren erschien anfangs ungewohnt, gab jedoch auch viel Interpretationsspielraum.
Insgesamt war der Theaterbesuch eine gelungene Veranstaltung und hat allen Teilnehmenden Büchners Stück näherbringen können.